Paolo Magelli hat für seine fünfteilige Produktion “Zagreb Pentagramm” fünf Autoren aus Zagreb gebeten, für ihn zu schreiben. Wir haben fünf junge Kritiker gebeten, sich jeweils einen Teil vorzunehmen.
1: Monologduett
Nataša und Goran heißen die zwei Seiten eines zwiegespaltenen Schriftsteller-Ichs. Diese beiden lässt Filip Šovagović in “Traumzone” am Schreiben und an den Menschen in selbstreflexiven Monologen verzweifeln: “Jeder Mensch ist der Autor seines Lebens, jeder Mensch ist Schauspieler und Regisseur seines Alters nur, manchen scheint, dass die Masken nie fallen werden”, sinnieren sie pirandellesk. Als irreale und unbegreifbare Traumexistenzen tragen sie in Paolo Magellis Inszenierung Masken, liefern sich spielerische Wortgefechte. Der Regisseur hat sie als Clowns verkleidet, die mit rot unterpunkteten Augen und einer skelettartig geschminkten Unterlippe aussehen, als seien sie direkt einem Albtraum entstiegen. Ihr Buchstabenfeuer findet mal einen gemeinsamen, stakkatoartigen Rhythmus, mal fallen sie sich gegenseitig ins Wort. Sie reflektieren über Erfolg und Misserfolg, Schreiben und Leersein, Leben und Sterben. Clowns sind nicht nur dazu da, Kinder zu erfreuen, sondern üben Kritik ohne Worte. Das hat uns Charlie Chaplins Tramp gelehrt. “Oh, wie schön war früher der Stummfilm”, schwärmt auch Nataša einmal. Am Ende bleibt Schweigen. (Judith Drokur)
2: Ein bisschen Action
Ein Autor, Igor Rajki. Ein Jahrgang, 1965. Ein Geburtsort, Zagreb. Ein Stücktitel, “Der Raub”. Eine Stadt, Zagreb. Ein Bühnenbild, ein paar Matratzen. Ein Trainingsort. Ein wenig Musik. Eine Prise Gesinge. Ein bisschen Gedichtform. Ein wenig Gerenne. Ein bisschen Busenwabbeln. Eine Familie. Eine Ehefrau, Kroatischprofessorin. Ein Ehemann, erfolgloser Komponist. Ein Sohn, erwachsenes Kind. Eine verschwenderische Oma. Eine leere Familienkasse. Eine Reise im Auto. Ein bisschen Counter Strike im Supermarkt. Ein erfolgloser Raubüberfall. Kein bisschen weniger Geldnot. (Grete Götze)
3: Die M-Frage
Wenn vier Frauen zusammenkommen, geht es oft um das Thema mit Hang zum Bartwuchs: Männer. Mit denen haben die vier Protagonistinnen des Stücks “Javier” alle so ihre Probleme, sei es, dass sie als Spaß-Objekt für einen Verheirateten herhalten, sei es, dass sie keinem mehr “einen geblasen haben, seit Jugoslawien zerfallen ist”. Allzu leicht könnte der individuelle Seelenschmerz dieser Frauen zu einem weiblichen Weltschmerz ausgewalzt werden. Doch Regisseur Paolo Magelli geht die M-Frage der vier Fs ganz anders an: Aus dem Text der Autorin Nina Mitrović lässt er auf seiner Bühne schrille Weiber erstehen, die in ihrer Skurrilität jenem “Ach-Seufz-Aber-Ich-Liebe-Ihn-Doch-Gefloskel” entgehen, vielleicht auch ganz einfach deshalb, weil sie kiffen. Dabei fehlt es nicht an einer gewissen Tragik. Das Nesthäkchen, die jüngste von ihnen schwebt zum Ende des Stückes im schwarzen Lolita-Kleidchen über die Bühne und ritz sich die Pulsadern auf, nachdem sie die meiste Zeit des Stückes scheinbar masturbierend und unsichtbar unter ihrer Bettdecke zugebracht hat. Kurz verkündet sie noch, es als einzige mit Männern zu können. Doch selbstmordgefährdet war sie ohnehin die ganze Zeit – ganz im Gegenteil zu Magellis Inszenierung des dritten Stückes, der jede selbstzerstörerische Anwandlung fremd ist. (Judith Kärn)
4: Die Krankheit der Nichtstuer
Der junge Mann Andelko ist gerade aus der Irrenanstalt zurückgekommen und soll jetzt sein Leben auf die Reihe kriegen. Schwierig, bei einer Mutter, die selbst nicht ganz dicht ist und die ganze Zeit von einer bevorstehenden Massenattacke der Mäuse phantasiert. Die Mutter drängt ihn, den Jesus Arm am Kreuz anzuleimen oder wenigstens laufen zu gehen. Andelko schreit “Lass mich!!” in seine Decke hinein und lässt sich den unerträglichen Wahnsinn zu Hause nicht anmerken. Nichts hat er zustande gebracht, außer ein Mädchen im Bus vor unangenehmen Kerlen beschützt und dafür eins abkassiert. Auch sie macht gerade „nichts“ und ihr Bruder knallt aus Verzweiflung Mäuse ab, weil er als Polizist gegen das korrupte System sowieso keine Chance hat. Der Autor Damir Karakaš zeichnet in seinem Stück “Wir schließen die Tür fast nie ab” ein beklemmendes Bild von traurigen Existenzen, denen man wünscht, dass sie irgendwie doch noch die Kurve kriegen. (Valerie Kattenfeld)
5: Hänsellose Gretel
Nach der kruden Inzest-Geschichte des vorhergehenden Teils kommt in “Der Zoo” von Ivan Vidić, dem Finale des Fünfteilers, die Liebe wieder ins Spiel. Die nächtlichen und trunkenen Wanderer auf Liebespfaden Jakov (Pjer Meničanin) und Ana (Jadranka Đokiċ) treffen im Zagreber Maksimir-Park eine hänsellose Gretel, die verzweifelt ihren selbstmordgefährdeten Bruder sucht und einen schokoladen- und zigarettengierigen sprechenden Wolf in nostalgischer Stimmung.Während die bisherigen Minidramen mal artistisch, mal boulevardesk daherkamen, wird Vidić märchenhaft: Sreten Mokroviċ ist ein lauffreudiger, in grauen Pelzmantel und -schuhe gekleideter Wolf, dessen Erscheinung auch auf eine Kindertheaterbühne passen würde. Trotzdem sollten Kinder lieber zu Hause bleiben, denn es wird überbordend körperlich: Gretel zieht den Abschiedsbrief ihres Bruders aus ihrem Slip, der Wolf begattet Anas Bein, und hierhergefunden haben sie und Jakov sowieso nur, um einen ungestörten Platz zu Zweisamkeiten zu finden. Was ihnen – siehe die Riege der störenden Fabelwesen – nicht gelingt: Die Verwirrung behält die Oberhand. Und Ana fasst zusammen: “Mein Gott, in welchem Märchen sind wir hier eigentlich?”(Jakob C. Heller)