Łukasz Witt-Michałowski inszeniert im Wiesbadener Malersaal “Der letzte Vater seiner Art“. Inspiriert ist Artur Pałygas Stück von Kafkas “Brief an den Vater”.
Der letzte Vater seiner Art
Es sind die Erinnerungen eines Sohnes an seinen allmächtigen Vater, der ihm den Mund verbietet, ihn demütigt und zum Schlafen auf den Balkon schickt; an einen grausamen Vater, der das Kleinkind füttert und dabei Horror-Hasen-Geschichten erzählt; an einen angstbringenden Vater, der selbst ausgemergelt im Totenbett noch die Aura eines unumstrittenen Familienoberhaupts ausstrahlt. In Artur Pałygas „Der letzte Vater seiner Art“ wird das Bild eines Vaters rekonstruiert, das scheinbar nicht wirklich sympathisch war, im Stück aber dennoch als besseres Vaterbild verhandelt wird.
Franjo wächst in ärmlichen Verhältnissen in einer kleinen Garnisonstadt im Grenzgebiet Polens auf. Drill, Hierarchie und Exzesse des Militärs werden vom Vater im Privatbereich fortgesetzt. Im Wiesbadener Malersaal ist diese karge Welt von der freien Lubliner Gruppe Scena InVitro ungewöhnlich phantasievoll in Szene gesetzt (Regie und Ausstattung: Łukasz Witt-Michałowski). Vier an Kirchenbänke erinnernde Zuschauerpodeste werden zwischen den einzelnen Episoden auf Rollen immer wieder auseinandergeschoben und neu platziert. Begleitet von Trompeten- und Trommelmusik entstehen so Formationen, die ständig neue Perspektiven auf das Bühnengeschehen ermöglichen.
Das Zentrum ist eine Lichtprojektion auf einer Seite des Werkstattraumes, die mal Schimmelfleck in der Wohnung der Familie, mal Kirchenkreuz ist. Der Rest ist simpel: Je nach Position wird ein schwarzer Kasten zu Esstisch, Wiege oder Sarg. Manchmal blitzt im tyrannischen Vater Fürsorge und Barmherzigkeit auf. Etwa wenn sich das eigentlich nett gemeinte gemeinsame Essen einer Wassermelone zu einer Autoritätsdemonstration entwickelt, die den Sohn in den Schatten des Vaters stellt. Betroffen ist auch die Tochter, die das allerdings mit einer fast unbekümmerten Gleichgültigkeit als natürlichen Zustand erlebt.
Absurd-komisch wird es, wenn gleich drei Vaterfiguren den Sohn mit Suppe füttern, damit er groß und stark wie der Vater werde. Überhaupt ist Essen in Form von Kochrezepten, TV-Werbespots oder auch Cabanossi allgegenwärtig. Der Sohn wird mit Anforderungen und Erwartungen überfüttert, die er nicht erfüllen kann. Als er krank wird und im Sterben liegt, reagiert der Vater besorgt, sucht Hilfe und erleidet letztlich aufgrund seiner Verzweiflung, dem Sohn vielleicht nicht helfen zu können, einen Schlaganfall. Hier und in den kafkaesk-surrealen (Alp-) Traumszenen des Sohnes werden neue Ebenen sichtbar, die die monotone und bedrückende Stimmung des Stücks brechen. Die Beziehung des Sohnes zum Vater ist im Text diffus gestaltet. Die Inszenierung belässt es dabei und verzichtet leider auf eine Akzentuierung. Zuletzt stranguliert der Sohn seinen im Sterben liegenden Vater.
Ob aus Liebe oder Hass, bleibt ungewiss.Die Mutter schwankt zwischen vorsichtigen Versuchen, die Kinder in Schutz zu nehmen, und einem für sie notwendigen Gehorsam gegenüber dem Mann, der ihr eine verweichlichende Erziehung des Sohnes vorwirft. Auch ihr Verhalten ist unbeständig. In einem Moment noch ängstlich, der Sohn könne sich beim Einschalten des Fernsehers einen Stromschlag holen, versichert sie dem Vater im Streit verzweifelt, sie hätte den Sohn damals ja auch abtreiben können, so der Gatte einverstanden gewesen wäre. Der Inszenierung gelingt in solchen Szenen eine erstaunliche Gradwanderung zwischen Komik und Tragik.