“Früherkennung heißt nicht länger leben, sondern länger Leben mit dem Wissen um Krebs“, sagte Professor Dr. Johannes Köbberling vom Zentrum für Innere Medizin der Kliniken St. Antonius in Wuppertal auf dem vierten Kongress der European Federation of Intemal Medicine (EFIM). Seine Kritik an den üblichen Krebs-Diagnose-Methoden war vernichtend. Man war einhellig der Meinung, dass 50 Jahre Krebsvorsorge und -politik in eine Sackgasse geführt haben.
“Über die Risiken einer Krebsfrüherkennung wird kaum gesprochen”, sagte Professor Dr. Jürgen Windeler vom Medizinischen Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen, Essen. Dass Fehldiagnosen auftreten, ist ganz sicher. Falsch positive wie auch falsch negative Krebs-Diagnosen sind jederzeit möglich. Ohne Zweifel ist ein positives Mammogramm keine gute Nachricht. Doch die Mehrzahl der Frauen, bei denen der Test positiv ausfällt, hat gar keinen Brustkrebs. Dies belegen statistischen Daten, die Professor Dr. Peter Gotzsche vom Cochrane Zentrum in Kopenhagen vorstellte. Er betonte, dass von 1000 untersuchten Frauen durch die rechtzeitige Krebsdiagnose nur bei einer einzigen Frau der Krebstod verhindert werden könne. Jedoch erlitten fünf weitere Frauen eine überflüssige Krebsdiagnose, drei Frauen eine überflüssige Tumorentfernung und zwei Frauen würde sogar unnötigerweise die Brust abgenommen. Zudem erlitten über hundert Frauen bedeutende psychische Qualen. Weiterhin würden die Früherkennungs-Untersuchungen selbst gesundheitliche Risiken in sich bergen. Eine Endoskopie kann zum Beispiel gesundheitlich nachhaltige Folgen haben. Hinzu kommen die Behandlungs-Risiken. Der größte Kritikpunkt an dem Screening-Verfahren ist die Feststellung, dass sich die Prognose für die Patientinnen nicht ändert. Es bleibt egal, ob eine Krebserkrankung zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert würde oder durch Früherkennung bekannt würde. Die Überlebenszeit des einzelnen Menschen bleibt gleich.
Krebs Früherkennung
Speziell das Wissen um die Möglichkeit einer Überdiagnose bereitet den Internisten Sorge. Überdiagnose bedeutet die Identifikation eines Karzinoms bei Patienten, die ohne Screening niemals in ihrem Leben davon erfahren hätten, niemals davon beeinträchtigt gewesen wären und an dem Tumor nicht verstorben wären. Bekannt ist dies etwa vom Neuroblastom. Diese bösartige Krebserkrankung im Kindesalter entwickelt sich oft spontan zurück. In internationalen Studien stellten sich die Folgen einer frühzeitigen Behandlung als viel schädlicher heraus als der Nutzen der medizinischen Behandlungs-Maßnahmen. Bekannt ist Überdiagnose auch beim Melanom.
Oft werden bei der Krebs Früherkennung schon noch nicht bösartige Stadien erfasst. Auch beim Prostatakarzinom lassen sich viele Überdiagnosen finden. Etwa die Hälfte aller Tumore, die bei Männern im Alter zwischen 55 und 67 Jahren durch ein jährliches PSA-Screening entdeckt werden, würde auch unentdeckt nicht zum Tode führen. “PSA Screening ist wie russisches Roulett”, sagte Professor Dr. Fritz H. Schröder von der Erasmus Universität in Rotterdam. „Im Moment wissen wir nicht einmal welche Methode das beste Testverfahren ist, welches Alter die Männer haben sollen und wo der richtige Cut Off Wert des PSA Tests liegt“, betonte Schröder.
Die Screening-Verfahren sind momentan noch nicht reif für die Gesundheitsfürsorge. Beim Prostatakarzinom ist die präklinische Phase besonders lang. In Hochrisikogruppen kann jedoch eine radikale Prostaentnahme das Überleben verlängern und die Metastasenbildung verhindern oder reduzieren. In der Konsequenz ist es daher wichtig, für zukünftige Untersuchungsverfahren die Risikogruppen genau zu kennen. Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Risikogruppen genau herauszuarbeiten.
Die Ansicht setzt sich immer mehr durch, dass der Umgang mit Krebs über 50 Jahre lang falsch war. Ein grundlegendes Umdenken ist in der Krebsmedizin im Gang. Beispielsweise gilt bis heute die medizinische Theorie, dass Krebs durch Schadstoffe ausgelöst werden kann.
Es gibt keine Stoffe, die nicht als krebserregend in der Diskussion standen, von Inhaltstoffen des Zigarettenrauchs bis zum Formaldehyd aus Holz. Aber: „Krebs wird nicht durch irgendeinen Schadstoff ausgelöst oder begünstigt, Krebs ist ein ganz normaler Vorgang im Körper, der täglich stattfindet und der regulären Zellerneuerung dient“, so Kritiker. Im Normalfall werden abzustoßende Zellen zerstört und können danach vom Immunsystem des Körpers erkannt und ausgeschieden werden. “Jeder hat täglich sein kleines Krebschen“, so Dr. Maurer aus Österreich, „nur wenn das Immunsystem nicht mehr in der Lage ist, die abzustoßenden Zellen auszuscheiden, bilden sich Geschwulste.“