Böser Wolf, schöne Marie


Tilman Gersch inszeniert die Uraufführung von Bettina Erasmys “Das wollt ihr nicht wirklich” am Staatstheater Wiesbaden.
Böser Wolf, schöne Marie
 
Schon Shakespeare schickte seine Protagonisten gerne in den Wald, um sie mit ihren seelischen Seltsamkeiten zu konfrontieren. Was im Wald passiert, bleibt im Wald, so scheint die Vereinbarung zu lauten. Bettina Erasmy präsentiert nun ihren ganz eigenen, zeitgenössischen Sommernachtstraum: In “Das wollt ihr nicht wirklich” schmeißt sie Menschen aufeinander, die in die Natur gehen, um ihre Sinnlichkeit wiederzuentdecken. Viktor will seine Ehe mit Marie wieder auf Trab bringen, Edgar steigt aus dem Beamtentrott aus, Karim versteckt sich vor der Abschiebung und Lara sucht nach einem Mann, der ihr darin zustimmt, dass Oscar Wilde recht hatte und “jeder tötet, was er liebt”.
Für die ironische Verrätselung der Geschichte sorgen neben dem Stücktitel zwei Vertreter der Fauna. Habicht und Wolf sind beide viel eleganter und intellektueller als ihre menschlichen Beobachtungsobjekte. Gleichzeitig strahlt gerade der Wolf eine animalische Erotik aus, die Marie bei ihrem Mann, dessen Namen sie nach drei Jahren schon vergessen hat, vermisst.
Für die Uraufführung am Hessischen Staatstheater Wiesbaden in Kooperation mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen zeichnet Tilman Gersch verantwortlich. Er muss “Das wollt ihr nicht wirklich” sehr lieben, scheint aber auch eine Affinität zum Töten zu haben. Dieser Eindruck entsteht angesichts der mörderischen Eile seiner Schauspieler. Sie rufen auch in intimen Szenen einander den Text zu, ohne auf seinen Inhalt einzugehen, und sie fegen über die vielen sich aufreißenden Abgründe hinweg.
Jörg Zirnstein (Edgar) etwa ist so damit beschäftigt, sich den Charme eines TV-Comedians aufzusetzen, dass er gar nicht mehr zu wissen scheint, was er da redet. Michael Birnbaums Viktor überzeugt zwar als gestresster Börsenbroker, nicht jedoch als verzweifelter Liebender. Und die sinnliche Lara muss bei Doreen Nixdorf ihren geheimnisvollen Charakter permanent durch feenhafte Gestik bebildern. Alle sind sie panisch mit sich selbst beschäftigt, was auch das einzeln klare, aber insgesamt inhomogene Kostümbild (Ausstattung: Henrike Engel) wiederspiegelt: der Aussteiger im Armyhemd, die Galeristin im kleinen Roten, der Araber (Michael von Burg) im Hadschi-Halef-Omar-Outfit.

Monologische Tiere

Diese Autismus der Figuren funktioniert noch am besten für die meist monologisch agierenden Tiere. Michael Günther als Wolf und Benjamin Krämer-Jenster als Habicht sieht man gerne zu, auch wenn die famosen Staubwolken, die ihr aufwändiges Ganzkörper-Make-up erzeugen, gelegentlich ablenken. Die Protagonisten turnen im wuchtigen Bühnenbild auf Felsen in Form der Buchstaben W, A, L und D herum, kriechen aus ihnen hervor und verschwinden wieder darin. Die Bühnenidee ist hübsch, aber auf Dauer zu statisch und der breite Glitzervorhang im Hintergrund das einzig Schillernde an diesem Abend.
Bei aller Rätselhaftigkeit macht Erasmys Text auch immer wieder Angebote für Lacher (“Sie ist wie Penelope. Nicht die Frau von Odysseus, sondern die Schauspielerin”). Fatalerweise stürzt sich Gersch auf diese Angebote wie der Wolf auf die schöne Marie (Sybille Weiser) und schlachtet sie gnadenlos aus. So gleicht das Geschehen im Verlauf des Abends zunehmend der Parodie eines Splatter-Films. Am Ende wurden alle getötet, das Stück ebenso, und es torkeln lauter Zombies über die Bühne.